DORIS SCHÖTTLER-BOLL
 

PRÄ-TEXT

Sie bitten darum, daß ich etwas sage zur 'Intention' meiner künstlerischen Arbeit.
Mir ist es lieber, Ihnen etwas über die Materialität meiner Arbeit zu sagen - das,  was sich in der künstlerischen Produktion selbst zur Geltung bringt: eine Bild-Textur, die sich durch Unterbrechung, durch zersetzende Zeichen, Ent-Regelung, durch Leerstellen hervorbringt und hält. Bilder, mithin, die sich an den  Rand ihrer eigenen medialen Möglichkeiten bringen. Und damit auch etwas produzieren, was in ihnen nicht aufgeht. Das Ungesagte am Gesagten. Das Unsichtbare am Sichtbaren. [...]

[Zu:  Vor dem Abflug, [...] eine Collage, die entstanden ist während eine längeren Paris-Aufenthalts Mitte der 70er Jahre]

In dieser Zeit experimentierte ich mit der Technik der Solarisation, der Erscheinung der Umkehrung der Lichteinwirkung auf mein filmisches Material. Die Bilder, die entstehen, so auch dieses, sind - ich kann es nicht anders sagen - einem Initiationsritus unterworfen. 
Das heißt, sie werden erst einmal aufbewahrt, bevor sie eine Chance haben, den nächsten Schritt der künstlerischen Transformation zu erreichen.
Dazwischen liegen Wochen, Monate, Jahre;  warum?
Vielleicht möchte ich ganz einfach meine Affektion auf die Probe stellen. Denn, wenn mich diese Bilder nach dieser Zeit noch erstaunen, anrühren, und dies aus den unterschiedlichsten Gründen, dann tun wir uns wieder zusammen.  Und es geht wie folgt weiter: Ich fertige von meiner Arbeit Dias an (in Farbe und Schwarzweiß), um mich für ein Bildformat zu entscheiden. Das hat zu tun mit meinem Interesse an der Tonalität von Farben, Strukturen, Licht und Schatten.
Dann mache ich ein Großnegativ, manchmal mehrere, weil die Filmdichte weitreichende Auswirkungen auf meine Vergrößerung hat. Ebenso ist es mit dem Foto-Papier für die Vergrößerung: verschiedende Oberflächen, Weichen und Härten. 
Das Experiment in dieser Phase meiner Arbeit der Vergrößerung ist der Versuch, eine höchstmögliche Intensität für das Bild zu erreichen. Alles Experimentieren ist daran orientiert. Und die Intensität eines Bildes, ich spüre es, ist Ergebnis des Experiments. Es ist etwas. was ich nicht in Worte fassen  kann, was auch nicht nötig erscheint. Denn die Bilder, die entstehen, sprechen für sich.

(1992)
 
 

STATEMENT

Ich möchte zu meiner künstlerischen Arbeit nur so viel sagen: daß ich seit 1970 versuche, jenseits von concept und Beliebigkeit [...] vorgegebene Bilder zu dekonstruieren. Und dies, indem ich Bildelemente der uns täglich umgebenden Bilderflut gewissermaßen entwende und neu inszeniere.

Ich erhoffe mir, so bereits vorhandene Bilder, die unser aller Leben (unsere Erfahrungen, Wünsche, Hoffnungen...) überlagern, zu stören. Und somit vielleicht etwas anderes aufscheinen zu lassen, was möglicherweise auf die Herausbildung neuer Erfahrungsräume zielt.

Die Collage- / Montage-Technik  -  die Organisation der Bildfläche durch den Schnitt, die Überblendung  -  scheint für meine Arbeit das geeignete Medium zu sein, weil es ganz konkret ermöglicht, in die herrschenden Bilder einzugreifen. Und durch die Fragmentarisierung wird sicherlich auch die eingespielte Wahrnehmung in Bewegung gebracht.

(1980)
 

STATEMENT IM KONTEXT DER AUSSTELLUNG "WIE ZEIT ZU RAUM WIRD" (Oberhausen, 1985)

[...] Diese Bildfindungen haben mit der prozessualen Realität von Emotionen zu tun.
Und nicht mit per Metronom meßbaren Geschehnisabläufen. 

Es geht um zweidimensionale Bildträger, auf denen ich keine Bewegung simulieren möchte. Vielmehr bewirkt der stille Augenblick in diesen Bildern vielleicht eine Bewegung im Betrachter: Was geschah vorher? Was könnte nachher geschehen?

Also geht es auch um komplexe Prozesse zwischen zwei verschiedenen Zeitabläufen: zwischen Kunst und Leben. Und dies auf der Ebene der Bildfindung und in der Differenz, auf der Ebene des Betrachtens der Bilder.

Das Begehren aus weiblicher Sicht zu artikulieren, auch die Symbolisierung(en) des Weiblichen zu hinterfragen, das, dieser Antrieb, ist - so spüre ich - in vielen Arbeiten gegenwärtig.   Und damit auch immerfort verbunden: eine Weise, dem komplexen Verhältnis zwischen Mann und Frau nachzuspüren. 

Es geht hier nicht um Identitätsstiftung, noch auch um Raster. Vielmehr möchte ich solche vorgefundenen, definitorischen Festlegungen als Material ins Spiel der Darstellung bringen.

Die künstlerische Praxis ist für mich der Ort der Differenz, der Ent-Identifizierung: gegenüber herrschenden Normen, verordneten Identitäten, wie sie ständig - nicht zuletzt über Bilder - vorgeführt werden.

Wir müssen auch erkennen, wie sehr wir davon erfaßt sind.

(1985)
 
 

EXZERPTE  (AUS EINEM TEXT, "DAS WAHRE IM FALSCHEN - UNTER ANDEREM  ÜBER ENDLOS-SCHLEIFEN VON JEAN-FRANÇOIS CHABAUD" /  ANMERKUNGEN ZU EINEM VORTRAG ZU "MASKULIN / FEMININ", UNIVERSITÄT BREMEN 1984)

[...] Was ist eine Frau - was ist ein Mann; was sind sie in Beziehung zueinander? Fragen, die in der Naturwissenschaft keineswegs beantwortet sind und die somit brisant und erkenntnisfördernd bleiben: warum nicht auch für uns? [...]

Da könnte ich einen kleinen Vortrag Lacans weitererzählen. Sie müssen wissen, daß er immerfort hübsche Ideen hatte, seine Zuhörer durch ein Bild zu motivieren, genauer hin zu hören, auf das, was er sagte. Dieser Vortrag begann also mit dem Bild eines Doppelbetts. An diesem Bett versuchte er das festzumachen, was er die Asymmetrie in der Beziehung von Mann und Frau nennt. [...]

Und im Fortlauf unserer Arbeit zeigte ich auch (ich erinneres es jetzt sehr gut), Jean François Chabauds topologische Transformationen der Whiteheadkette. Diese Verbindung zweier Endlosschleifen, die zusammengehören, aber nicht zwingenderweise die gleiche Form annehmen. Es wird ein Spiel der Differenz gezeigt - und dies ist außerordentlich schön anzusehen.  Und für mich sind diese beiden miteinander verbundenen Endloschleifen das Weibliche und das Männliche - so, wie es sich vortrefflicher nicht darstellen läßt.
[...]

"Denn was ist der Mensch?"  -  Wenn man nicht wieder in alttradierte, humanistisch-aufklärerische Positionen zurückfällt? Wenn man die materielle Geschichte - die unterschiedlichen Erfahrungen im Patriarchat  nicht verleugnet?

Rahel Varnhagen sagte, "Wir sind nur gleich bei der Ungleichheit."

Jeden Versuch, eine normative - weibliche oder feministische - Ästhetik aufzustellen, die vom Formenrepertoir einiger Künstlerinnen ausgeht, lehne ich ab. Weil so mögliche Wahrnehmungsräume zugleich verschlossen werden. Und die künstlerische Praxis nicht als fortdauernder Prozeß erkannt wird.

(1987)
 
 

DAS REALE, DAS SYMBOLISCHE
UND DAS IMAGINÄRE

Das REALE ist doch, daß etwa DA ist, GESETZT ist.
Es sind die VERHÄLTNISSE, in denen wir leben; somit (auch) unsere Körper.
In denen auch DAS UNBEWUSSTE eine ENERGIE oder KRAFT darstellt - ganz MATERIELL.

Das SYMBOLISCHE hingegen, das ist doch: DIE SPRACHE, DIE BILDER.
Das, mit dem wir uns auch über das Reale VERSTÄNDIGEN.

Quasi die dritte Voraussetzung unseres Seins ist das IMAGINÄRE.
Das den Zusammenhalt, die KONSISTENZ, der beiden anderen Voraussetzungen ermöglicht.

Man könnte sehr pointiert sagen, daß diese drei Vorausetzungen immer gegeben sind, sofern menschliches Leben da ist.

Um es so konkret wie möglich auf meinen ARBEITSPROZESS zu beziehen, könnte ich sagen - so, wie es Wittgenstein über die Sprache sagte -: 
die Verhextheit ist die, daß ich mich vorgegebenen Bildern, einer vorgegebenen Sprache, der vorgegebenen Bilder-Sprache konfrontiert finde.
Daß es etwas von ihr gibt, das in mir präsent ist.
Und dennoch das Begehren, die Kraft, es immer wieder infrage zu stellen und zu überschreiten.
 

Vgl. auch die von Peter Widmer ( in: Peter Widmer, Subversion des Begehrens; Frankfurt/Main 1990, S. 145ff.)  vorgeschlagene Lacansche Lesart. Diese Passage wird (mehr oder weniger abgewandelt) häufig von D. S.-B. zitiert. Spannend ist für sie, was das impliziert. 

(ca. 1991)
 


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