Der Kinematograph als Zeitmaschine
Auf der Suche nach bewegten Bildern 
eines sich verändernden Ruhrgebiets

Einige Filmbeispiele samt notwendiger Erläuterung 
als Angebot zum Dialog

von

Paul Hofmann (Kinemathek im Ruhrgebiet)
 
 
 
 

Zu der XXXIX. Veranstaltung der Reihe
Personen Projekte Perspektiven
Freitag, den 11.November 2005 um 20 Uhr
laden wir Sie und Ihre Freunde herzlich ein
 
 
 
 

Atelierhaus
Alte Schule
Äbtissinsteig 6
Essen-Steele 


 




Paul Hofmann über Paul Hofmann:

Paul Hofmann (Jg. 1950), zufälliger Rheinländer , Stadtsoziologe mit dem Hang zur Suche nach den Qualitäten im Vorhandenen, daher Mitte der 70er Jahre Besuche in den damals umkämpften
Arbeitersiedlungen des Ruhrgebiets. Die dortige Begegnung mit den widerständigen Bewohnern,
mit sympathisierenden Fachleuten und Kulturschaffenden und vor allem mit Roland Günter
bewirkt den Umzug in das Ruhrgebiet. Über die Beschäftigung mit der Geschichte des Werk-
wohnungsbaus Hinwendung zu einer visuell vermittelten Sozialgeschichte der Industrielandschaft.

1976 Beginn der Dokumentationsarbeiten für eine in der BRD bis dahin unbekannte Form der Filmgeschichtsforschung als Baustein einer regionalen Geschichtsschreibung zusammen mit Janne und Roland Günter, Veröffentlichung erster Ergebnisse als Retrospektive "Das Ruhrgebiet
im Film" anläßlich der Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen 1978.

Aus der Auseinandersetzung mit der (damaligen) Praxis bundesdeutscher Filmarchivierung
Entwicklung des Konzepts einer subsidiären regionalen Filmsammlung ("Filmdokumente vor Ort") als 'Kinemathek im Ruhrgebiet', ab 1988 gefördert durch die Kulturstiftung Ruhr.

Zum Suchen und Bewahren der bewegten Bilder dieser Region gehört von Anbeginn sinnstiftend, also unverzichtbar das Wiedervorzeigen, das Sichtbarmachen von Geschichte durch öffentliche Vorführungen der gefundenen Filme. Daraus folgt, mittlerweile seit 3 Jahrzehnten, eine sehr vielfältige ambulante Kinoarbeit mit jeweils lokalen Partnern.

Daneben, wo immer möglich, Beratung und Unterstützung von Filmprojekten zur (Geschichte der) Region, ab und zu Mitarbeit an meist dokumentarischen Filmen, seit einigen Jahren eigene 
Archiv-Collagen fürs Fernsehen. Aus Mißtrauen gegenüber Worten über Bilder dagegen in
all den Jahren wenig Geschriebenes und Gedrucktes über die Arbeit.

Mit dem "Arbeitskreis Filmarchivierung in Nordrhein-Westfalen" im Jahr 2002/2003 Übertragung des regionalen filmografischen wie konservatorischen Ansatzes auf die Filmüberlieferung ganz Nordrhein-Westfalens im Pilotprojekt "Büchsenöffner", getragen vom Filmbüro NW und finanziert vom Kultusministerium NRW.

Durch den von Anbeginn glücklicherweise blauäugig wie maßlos formulierten Anspruch der Dokumentation aller je im und über das Ruhrgebiet gedrehten Filme unvermeidliche Fortsetzung dieser Bildersuche bis heute, mangels öffentlicher Förderung auch nie durch Haushaltskürzungen, höchstens durch persönliche Insolvenz bedroht. Doch dank der Ermunterung und tatkräftiger Unterstützung vieler Freunde und Sympathisanten und dank des vielfältig dokumentierten Vertrauens zahlreicher Autoren, Produktions- und Verleihfirmen und (auch öffentlicher) Institutionen in die Idee eines regionalen FilmArchivs für das Ruhrgebiet muß die Arbeit auch 30 Jahre nach ihrem Beginn wohl weitergehen. 
 
 

Der Kinematograph als Zeitmaschine...

Die Bedeutung der Archivarbeit von Paul Hofmann – liegt sie in dem Versuch einer Rettung der Erinnerung an eine Region vor ihrem Verschwinden? Rücklaufend, sagte Hofmann einmal sinngemäß, hole ich die Geschichte nie ein. Aber eben deshalb ist dieses Filmmaterial, das Spuren der Geschichte, Bilder und Töne der Region (wie vermittelt und verzerrt auch immer) bewahrt, so wichtig. Mit diesem Material zu arbeiten, es produktiv zu machen, im Rückgriff darauf etwas zu komprimieren, darum geht und ging es Paul Hofmann auch in seiner filmischen Arbeit.

Während Robert Hartmann und Michael Lentz in dem von Paul Hofmann vorgestellten Film „Der Rauch verbindet die Städte“ (1979) altes Filmmaterial und selbst gedrehte  Sequenzen kombinieren und rückblickend engagiert kommentieren, arbeitet Hofmann selbst ausschließlich mit vorgegebenem Material – und zwar sowohl auf der Bild- wie auf der Tonebene.  So kann mit der an diesem Abend von ihm ermöglichten Gegenüberstellung der einen wie der anderen Arbeitsweise die je spezifische Form der filmischen Transformation von Wirklichkeit erfahrbar werden. 
Seine Filmcollage "Eine Landschaft wie keine zweite" aus dem Jahre 2005 (der erste Teil seiner Ruhrgebiets-Trilogie) zeigt eine Region, die in dieser Form nicht mehr existiert.
Sie ruft, so könnte man vielleicht sagen, nicht zuletzt auch deren konträre Aspekte ins Bewußtsein zurück – darunter auch Formen eines für die Industrieregion typischen Arbeiterwohnens, Formen eines produktiv-humanen Zusammenlebens, "das Lebensgefühl einer Welt", ihre Kooperations- und Kommunikationsformen, Formen der (nicht nur) nachbarschaftlichen Solidarität, deren Wert für das Gemeinwesen aus dem Bewußtsein der Heutigen immer mehr verdrängt wird, wenn es uns nicht gelingt, auf neue Art daran anzuknüpfen.

Auch das vergangene, verschwundene Ruhrgebiet war ja keine konfliktfreie Zone. Auch dieses Ruhrgebiet war bereits eines der Einwanderer neben Einheimischen, des Aufeinanderpralls spezifischer Soziokulturen, ein Land der raschen Veränderung, der Reibungen und schmerzhaften Brüche.
Da waren die, die hier neu ankamen, auf der Suche nach Arbeit, aus der Eifel, dem Sauerland, die heimisch wurden in einem Gebiet sich zu Arbeiterdörfern transformierender Landgemeinden und schon bald nicht mehr allein oder vorrangig vom Handelskapital dominierter städtischer Zentren. Dann kamen in einer rasanten Aufschwungsphase der Hochindustrialisierung die Polen, später die Italiener, die Türken: Menschen, die alle noch hier sind, die lernten, mit einander zu leben und die so, mitsamt ihrem je verschiedenen „Erbe“, letztendlich zu Ruhrgebietlern wurden, seine spezifische „Farbe“ und seine Besonderheit schufen.

Auch heute sind sie wieder – und immer noch –  den Folgen einer „Umstrukturierung“ unterworfen, sind aufgefordert, Antworten zu (er)finden, bei denen es geht um die Bewältigung der weitreichenden und oft äußerst brutal vorangetriebenen Deindustrialisierung, aber auch um die Verarbeitung von neuen Einwanderungswellen (was wieder einmal Spannungen mit sich bringt, gerade in Zeiten verschärfter Konkurrenz der Konzerne, des Wegrationalisierens und der Angst um die Arbeitsplätze). Das Aufeinanderstoßen des vermeintlich Eigenen und des wahrgenommenen Fremden erinnert auch an frühere, vielleicht nicht ganz unähnliche Prozesse: läßt es sich also entziffern vor dem Hintergrund historischer Erfahrung?

Noch etwas anderes könnte uns in diesem Kontext begegnen: die erneute Entdeckung, daß das Lebenswerte und Liebenswerte einer Stadt sich an den Mikrobereichen, den Stadtteilen, und den hier gelebten Umgangs- und Kooperationsweisen festmachen läßt...

Wenn es ein neues, lebenswertes Ruhrgebiet geben wird, wenn sich etwas in Richtung auf eine Zukunft bewegt, vor der die Menschen nicht erschrecken und auch nicht in andere Regionen „fliehen“ werden, dann kommen wir Ruhrgebietler – alte wie Neuankömmlinge – nicht umhin, auch Fragen aufzuwerfen, Fragen, die nicht gekennzeichnet sind von historischer Blindheit. Die Frage etwa, wie denn – auch im Vergleich zur (freizulegenden, erneut zu begreifenden) historischen Erfahrung früherer Generationen – heute das Zusammenleben der Menschen, für die dieses Gebiet Heimat geworden ist, aussieht und welche soziale Phantasie erforderlich ist, um es – jenseits aller Nostalgie – sozial und kulturell produktiv und lebendig zu gestalten. Ansätze dazu finden sich bereits: etwa im lebendigen historischen Interesse für die Orte, an denen man lebt, in der Verteidigung der alten Arbeitersiedlungen und anderer, für die Menschen in ihren Vierteln bedeutsamer Gebäude, nicht zuletzt in der Umnutzung und damit Bewahrung der Industriedenkmäler. Das wäre, von „unten“, durch die Bewohner des Reviers, offensiv weiterzuentwickeln, in Richtung auf eine immer bewußtere, immer lebensbejahendere, gemeinsame Gestaltung ihrer städtischen und regionalen Lebenswirklichkeit. Denn darüber dürfen wir uns keine Illusionen machen: Die Frage, wohin sich das einstige „Revier“ entwickelt, ist noch ganz offen. Und auch die Experten, auf die so viele vertrauen möchten, wissen (trotz aller gegenteiligen Vermutungen) nicht, wohin denn die Reise geht. Es liegt aber nicht an den Expertokratien und Bürokratien, nicht an der „großen Politik“ – es entscheidet sich wenigstens einiges, wie auch früher schon, vor Ort: in den  Stadtteilen, in den Gemeinden, in der Lebenspraxis und im Bewußtsein der wachen, sich bisweilen durchaus als Bürger (mithin citoyen) verstehenden Menschen des Ruhrgebiets...     

                                                          Andreas Weiland

 

Sonntag, den 13.November um 20 Uhr
gibt es die Gelegenheit, im Atelierhaus –Alte Schule– die von Paul Hofmann im Jahre 2005
für den WDR produzierte Film-Trilogie  "Als der Ruhrpott noch schwarz-weiß war" 
zu sehen und zu diskutieren:
Teil 1: Eine Landschaft wie keine zweite
Teil 2: Das lange Elend mit der Kohle    
Teil 3: Eine Heimat mit Ecken und Kanten
Die drei Teile dieser Filmcollage haben jeweils eine Länge von 44 Minuten.
 
 






Doris Schöttler-Boll   Atelierhaus – Alte Schule–  Äbtissinsteig 6   45276 Essen-Steele
Tel.+Fax 0201/ 515592  E-Mail Doris.Schoettler–Boll@freenet.de
KUNSTRAUM – ALTE SCHULE – e.V.
Wir danken dem Kulturbüro der Stadt Essen und den Freunden des Atelierhauses
für die freundliche Unterstützung dieser Veranstaltungsreihe




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