Auf der Suche nach bewegten Bildern eines sich verändernden Ruhrgebiets Einige Filmbeispiele samt notwendiger Erläuterung
von Paul Hofmann (Kinemathek im Ruhrgebiet)
Zu der XXXIX. Veranstaltung der Reihe
Atelierhaus
Paul Hofmann über Paul Hofmann: Paul Hofmann (Jg. 1950), zufälliger Rheinländer , Stadtsoziologe
mit dem Hang zur Suche nach den Qualitäten im Vorhandenen, daher Mitte
der 70er Jahre Besuche in den damals umkämpften
1976 Beginn der Dokumentationsarbeiten für eine in der BRD bis
dahin unbekannte Form der Filmgeschichtsforschung als Baustein einer regionalen
Geschichtsschreibung zusammen mit Janne und Roland Günter, Veröffentlichung
erster Ergebnisse als Retrospektive "Das Ruhrgebiet
Aus der Auseinandersetzung mit der (damaligen) Praxis bundesdeutscher
Filmarchivierung
Zum Suchen und Bewahren der bewegten Bilder dieser Region gehört von Anbeginn sinnstiftend, also unverzichtbar das Wiedervorzeigen, das Sichtbarmachen von Geschichte durch öffentliche Vorführungen der gefundenen Filme. Daraus folgt, mittlerweile seit 3 Jahrzehnten, eine sehr vielfältige ambulante Kinoarbeit mit jeweils lokalen Partnern. Daneben, wo immer möglich, Beratung und Unterstützung von
Filmprojekten zur (Geschichte der) Region, ab und zu Mitarbeit an meist
dokumentarischen Filmen, seit einigen Jahren eigene
Mit dem "Arbeitskreis Filmarchivierung in Nordrhein-Westfalen" im Jahr 2002/2003 Übertragung des regionalen filmografischen wie konservatorischen Ansatzes auf die Filmüberlieferung ganz Nordrhein-Westfalens im Pilotprojekt "Büchsenöffner", getragen vom Filmbüro NW und finanziert vom Kultusministerium NRW. Durch den von Anbeginn glücklicherweise blauäugig wie maßlos
formulierten Anspruch der Dokumentation aller je im und über das Ruhrgebiet
gedrehten Filme unvermeidliche Fortsetzung dieser Bildersuche bis heute,
mangels öffentlicher Förderung auch nie durch Haushaltskürzungen,
höchstens durch persönliche Insolvenz bedroht. Doch dank der
Ermunterung und tatkräftiger Unterstützung vieler Freunde und
Sympathisanten und dank des vielfältig dokumentierten Vertrauens zahlreicher
Autoren, Produktions- und Verleihfirmen und (auch öffentlicher) Institutionen
in die Idee eines regionalen FilmArchivs für das Ruhrgebiet muß
die Arbeit auch 30 Jahre nach ihrem Beginn wohl weitergehen.
Der Kinematograph als Zeitmaschine... Die Bedeutung der Archivarbeit von Paul Hofmann – liegt sie in dem Versuch einer Rettung der Erinnerung an eine Region vor ihrem Verschwinden? Rücklaufend, sagte Hofmann einmal sinngemäß, hole ich die Geschichte nie ein. Aber eben deshalb ist dieses Filmmaterial, das Spuren der Geschichte, Bilder und Töne der Region (wie vermittelt und verzerrt auch immer) bewahrt, so wichtig. Mit diesem Material zu arbeiten, es produktiv zu machen, im Rückgriff darauf etwas zu komprimieren, darum geht und ging es Paul Hofmann auch in seiner filmischen Arbeit. Während Robert Hartmann und Michael Lentz in dem von Paul Hofmann
vorgestellten Film „Der Rauch verbindet die Städte“ (1979) altes Filmmaterial
und selbst gedrehte Sequenzen kombinieren und rückblickend engagiert
kommentieren, arbeitet Hofmann selbst ausschließlich mit vorgegebenem
Material – und zwar sowohl auf der Bild- wie auf der Tonebene. So
kann mit der an diesem Abend von ihm ermöglichten Gegenüberstellung
der einen wie der anderen Arbeitsweise die je spezifische Form der filmischen
Transformation von Wirklichkeit erfahrbar werden.
Auch das vergangene, verschwundene Ruhrgebiet war ja keine konfliktfreie
Zone. Auch dieses Ruhrgebiet war bereits eines der Einwanderer neben Einheimischen,
des Aufeinanderpralls spezifischer Soziokulturen, ein Land der raschen
Veränderung, der Reibungen und schmerzhaften Brüche.
Auch heute sind sie wieder – und immer noch – den Folgen einer „Umstrukturierung“ unterworfen, sind aufgefordert, Antworten zu (er)finden, bei denen es geht um die Bewältigung der weitreichenden und oft äußerst brutal vorangetriebenen Deindustrialisierung, aber auch um die Verarbeitung von neuen Einwanderungswellen (was wieder einmal Spannungen mit sich bringt, gerade in Zeiten verschärfter Konkurrenz der Konzerne, des Wegrationalisierens und der Angst um die Arbeitsplätze). Das Aufeinanderstoßen des vermeintlich Eigenen und des wahrgenommenen Fremden erinnert auch an frühere, vielleicht nicht ganz unähnliche Prozesse: läßt es sich also entziffern vor dem Hintergrund historischer Erfahrung? Noch etwas anderes könnte uns in diesem Kontext begegnen: die erneute Entdeckung, daß das Lebenswerte und Liebenswerte einer Stadt sich an den Mikrobereichen, den Stadtteilen, und den hier gelebten Umgangs- und Kooperationsweisen festmachen läßt... Wenn es ein neues, lebenswertes Ruhrgebiet geben wird, wenn sich etwas in Richtung auf eine Zukunft bewegt, vor der die Menschen nicht erschrecken und auch nicht in andere Regionen „fliehen“ werden, dann kommen wir Ruhrgebietler – alte wie Neuankömmlinge – nicht umhin, auch Fragen aufzuwerfen, Fragen, die nicht gekennzeichnet sind von historischer Blindheit. Die Frage etwa, wie denn – auch im Vergleich zur (freizulegenden, erneut zu begreifenden) historischen Erfahrung früherer Generationen – heute das Zusammenleben der Menschen, für die dieses Gebiet Heimat geworden ist, aussieht und welche soziale Phantasie erforderlich ist, um es – jenseits aller Nostalgie – sozial und kulturell produktiv und lebendig zu gestalten. Ansätze dazu finden sich bereits: etwa im lebendigen historischen Interesse für die Orte, an denen man lebt, in der Verteidigung der alten Arbeitersiedlungen und anderer, für die Menschen in ihren Vierteln bedeutsamer Gebäude, nicht zuletzt in der Umnutzung und damit Bewahrung der Industriedenkmäler. Das wäre, von „unten“, durch die Bewohner des Reviers, offensiv weiterzuentwickeln, in Richtung auf eine immer bewußtere, immer lebensbejahendere, gemeinsame Gestaltung ihrer städtischen und regionalen Lebenswirklichkeit. Denn darüber dürfen wir uns keine Illusionen machen: Die Frage, wohin sich das einstige „Revier“ entwickelt, ist noch ganz offen. Und auch die Experten, auf die so viele vertrauen möchten, wissen (trotz aller gegenteiligen Vermutungen) nicht, wohin denn die Reise geht. Es liegt aber nicht an den Expertokratien und Bürokratien, nicht an der „großen Politik“ – es entscheidet sich wenigstens einiges, wie auch früher schon, vor Ort: in den Stadtteilen, in den Gemeinden, in der Lebenspraxis und im Bewußtsein der wachen, sich bisweilen durchaus als Bürger (mithin citoyen) verstehenden Menschen des Ruhrgebiets... Andreas Weiland
Sonntag, den 13.November um 20 Uhr
Doris Schöttler-Boll Atelierhaus – Alte
Schule– Äbtissinsteig 6 45276 Essen-Steele
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