Vom prekären Leben im Kapitalismus pur

Vortrag von Jürgen Link


Zu der XLVII.Veranstaltung der Reihe
Personen Projekte Perspektiven
Freitag, den 4.Mai 2007 um 20 Uhr
laden wir Sie und Ihre Freunde herzlich ein


Atelierhaus
-Alte Schule-
Äbtissinsteig 6
Essen-Steele


(PPP 47)

Vom prekären Leben im neuesten Kapitalismus pur

Als vor einiger Zeit der Begriff "Unterschicht" zum Medienereignis wurde, konnte man lesen, dass in der zugrunde liegenden Studie statt dessen von "Prekariat" die Rede gewesen sei. Dieser Begriff (samt "prekäre Beschäftigungsverhältnisse" und "Prekarität") stammt aus Frankreich, wo jedes Kind ihn kennt. "Unterschicht" ist sicher keine gute Übersetzung - aber worum geht es dann eigentlich? Das soll in dem Vortrag etwas genauer unter die Lupe genommen werden. Arbeitshypothese: Prekarität könnte die Lage heißen, die entsteht, wenn alte soziale Normalitäten flexibel gemacht werden, ohne dass neue Normalitäten zur Absicherung an die Stelle treten. Wie man sieht, ist davon keineswegs nur eine Unterschicht betroffen - vielmehr kann das heute (fast) jeden und jede erwischen. Ob 1-Euro-Jobs oder endlose Ausbildungen und Praktika, ob kurz befristete Verträge oder Weg-"Reformierung" der sozialen Netze - das Prekariat ist längst auch in Deutschland Wirklichkeit, und zwar quer durch verschiedene Schichten.
Jürgen Link


Der Vortrag von Jürgen Link analysiert einen diskursiven Kontext, der erhebliche Verschiebungen im Politischen wie auch in der gesellschaftlichen Struktur aufgreift und seinerseits vorantreibt. Galt das prekäre Leben der "Penner", Künstler und Bohemiens, der Aussteiger und sich der Verwahrung in Anstalten entziehender "Irrer" im Nachkriegskapitalismus des Wiederaufbaus und des Kalten Krieges als die "Ausnahme" von der Regel sozialstaatlicher Mindestabsicherung, so wird in der EU seit den 90er Jahren verstärkt das Herausdrücken und Herausfallen von einigen Millionen Menschen aus dem durchschnittlichen Standard der "arbeitenden Klassen" als neue, flexible Normalität hingenommen. Was aber bedeutet das für die Wahrnehmung der prekären materiellen Existenz vieler Künstlerinnen und
Künstler? Nicht nur fällt der romantische Nimbus des "Hungerkünstlers" weg, wo Erfolg am Kunstmarkt plötzlich alles zu sein scheint; auch die "stützenden Maßnahmen" - wie Künstlerförderung, Ankäufe von Werken durch Kommunen, die die Härte prekärer Lebens- und Arbeitsbedingungen von Künstlern in den 60er,70er, 80er Jahren etwas abmildern konnten, fallen längst einem sozialdarwinistischen Rigorismus zum Opfer sowie einer zynischen Verweisung auf jene "Werturteile", die angeblich am besten der Markt (samt seiner interessierten Mitspieler) über Kunstwerke sprechen kann.
Auch diese Bedeutung der diskursiven und realen Verschiebungen der letzten Jahre für die Fortentwicklung der Kunst und die Arbeitsbedingungen der Künstler wäre zu reflektieren.


Jürgen Link
, geb. 1940, Professor für Literaturwissenschaft (und Diskurstheorie) an der Universität Dortmund. Forschungsschwerpunkte: struktural-funktionale Interdiskurstheorie; Kollektivsymbolik,´Normalismustheorie; literarhistorisch: Lyrik; Hölderlin und die ‚andere Klassik'; Brecht und die ‚klassische Moderne'. Einige Publikationen: Literaturwissenschaftliche Grundbegriffe, München (Fink) 1983; (mit W. Wülfing Hrsg.) Nationale Mythen und Symbole, Stuttgart (Klett-Cotta) 1991; Versuch über den Normalismus, Opladen (Westdeutscher Verlag) 1996, 2. Auflage 1999, 3. ergänzte, überarbeitete und neu gestaltete Auflage Göttingen (Vandenhoeck und Ruprecht) 2006; Hölderlin-Rousseau: Inventive Rückkehr, Opladen (Westdeutscher Verlag) 1999. (Mitherausgeber): kultuRRevolution. Zeitschrift für angewandte diskurstheorie, Essen (Klartext) 1982ff.; Mitbegründer der Diskurswerkstatt Bochum (1980ff.).


Atelierhaus -Alte Schule- Äbtissinsteig 6 45276 Essen-Steele
Tel.+Fax 0201/ 515592 e-mail doris.schoettler-boll@t-online.de www.atelierhaus-essen.de
KUNSTRAUM - ALTE SCHULE - e.V.
Wir danken dem Kulturbüro der Stadt Essen und den Freunden des Atelierhauses
für die freundliche Unterstützung dieser Veranstaltungsreihe



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