Schillers ästhetische Utopie
und die romantische Wirklichkeit
der Kunst

Vortrag von Gerhard Plumpe

Zu der XXXVII. Veranstaltung der Reihe
Personen Projekte Perspektiven
Freitag, den 19.August 2005 um 20 Uhr
laden wir Sie und Ihre Freunde herzlich ein

Atelierhaus
Alte Schule
Äbtissinsteig 6
Essen-Steele

 

Gerhard Plumpe
Schillers ästhetische Utopie und die romantische Wirklichkeit der Kunst

In Deutschland hat es Tradition, von der Kunst Außerordentliches zu erhoffen. Unter Intellektuellen gibt man sich selten damit zufrieden, von Künstlern interessant unterhalten zu werden oder seine Mußestunden in Gegenwart von Kunstwerken angenehm dahinzubringen. Nein, die Kunst hat größere Aufgaben und höhere Ziele, da ist man sich sicher. Sonst unzugängliche Wahrheiten macht sie zugänglich, Vorschein gerechterer Lebensverhältnisse ist sie, alles Vertraute und Gewohnte stellt sie in Frage, sie zeigt das Menschenmögliche, wo sonst nur Spezialisierungen und Einschränkungen gefragt sind. Auch moralische Wirkungen traut man ihr zu, freilich großartige und befreiende müssen es sein im Gegenzug zu einer Wirklichkeit, die die Menschen unterwirft und klein macht.
Fragt man sich, wie Intellektuelle auf die Idee kommen konnten, ausgerechnet von der Kunst solche utopischen Wirkungen zu erwarten, dann liegt es nahe, Enttäuschungskompensationen zu unterstellen. Enttäuscht waren die Intellektuellen um 1800 von den Resultaten der Moderne und ihrer sozialen Differenzierung, die in der Wissenschaft nur zunehmend spezielle und oft auch banale Erkenntnisse brachte, in der Politik kaum mehr als Konfliktmanagement und Machtkämpfe, in der Religion Weltverlust, im Recht Gesetzessystematik und in der Wirtschaft Verteilungsprobleme angesichts knapper Güter. Gegen diese enttäuschende Moderne brachte man Kunst und ästhetische Erfahrung in Stellung.
Damit sind wir bei Schiller. Seine ästhetische Philosophie hat der Kunst die Aufgabe zugewiesen, die Folgeschäden der Modernisierung zu beheben und mit der Herstellung einer ästhetischen Situation das politische Ziel einer Gesellschaft freier und gleicher Menschen einzuüben. Im Laufe seiner Gedanken konnte sich Schiller allerdings über die Aussichtslosigkeit solcher Hoffnungen kaum hinwegtäuschen: Kunst ist eine Sache für wenige, nur für eine Elite, populär werden kann sie nie; die Massen erreicht sie nicht. So wird auch das politische Ziel selbst elitär.
Weil das Medium der Schillerschen Utopie, die Kunst, selbst ein Ergebnis der Modernisierung ist, kann man von ihr auch nur Kunst, nicht aber Politik oder moralische Wirkungen erhoffen. Man überfordert die Kunst, wenn man von ihr die Beseitigung der Folgeprobleme der Moderne erwartet. Das haben die Romantiker klar gesehen. "Es gibt für die Kunst keinen lebensgefährlicheren Irrtum als sie in Politik und Universalität zu suchen", hat Friedrich Schlegel gegen Schiller eingewandt. Er konnte mit diesem skeptischen Satz aber nicht verhindern, daß sich in Deutschland ästhetische Überschwenglichkeiten bis heute erhalten haben. In der Kontroverse zwischen Schiller und seinen romantischen Kritikern scheint der Spielraum abgesteckt worden zu sein, der utopische und skeptische Positionsbestimmungen der Kunst bis heute begrenzt.

Gerhard Plumpe, Professor für Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum. Hauptarbeitsgebiete: Literaturtheorie, Geschichte der Ästhetik und der Medien; Literatur des 18.-20.Jahrhunderts.
Wichtige Veröffentlichungen: Der tote Blick, München 1990; Ästhetische Kommunikation der Moderne. 2 Bde., Opladen 1993; Epochen moderner Literatur, Opladen 1995; Beobachtungen zur Literatur, Opladen 1995; Realismus und Gründerzeit, München 1997; Romantik und Ästhetizismus, Würzburg 1999.


Doris Schöttler-Boll Atelierhaus - Alte Schule - Äbtissinsteig 6 45276 Essen-Steele
Tel.+Fax 0201/515592 E-Mail Doris.Schoettler-Boll@freenet.de
KUNSTRAUM - ALTE SCHULE - e.V.
Wir danken dem Kulturbüro der Stadt Essen und den Freunden des Atelierhauses
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