Die Künstlerin Doris Schöttler-Boll

Im Salon des 21. Jahrhunderts

Nicht nur Liebe, auch Theorie geht durch den Magen. Das haben die alten Griechen gewusst, denn der Begriff „Symposion“, unter dem man heute eher eine staubtrockene Tagung von Fachgelehrten versteht, meinte bei ihnen noch: Gastmahl.

Das ist der Geist, der auch durch das alte Atelierhaus Alte Schule in Essen Steele weht, wenn die Künstlerin Doris Schöttler-Boll zu ihrer Reihe „Personen Projekte Perspektiven“ einlädt. Gastlichkeit ist das A und O, eine Herzlichkeit der Stimmung, die auch durch das Publikum getragen wird, das in der Art früherer Mitbring-Partys die Verpflegung gleich mit heranschafft. Das leibliche Wohl ist also gesichert. Für die geistige Nahrung sorgen die Referenten, allesamt hochkarätige Fachleute: Philosophen, Künstler, Soziologen, Literaturwissenschaftler. Es geht um Kunst im weitesten Sinne und ihre Wechselwirkung mit anderen Theorie- und Praxisfeldern. So steht im April der Leiter der Duisburger Filmwoche, Werner Ružic(ka, auf dem Programm und im Juni der Filmemacher Harun Farocki.

Anschließend wird diskutiert ­- oft bis tief in die Nacht. Das Publikum ist eine bunte Mischung aus Fachleuten, die teils lange Anfahrten in Kauf nehmen, und Essenern, viele von ihnen ohne spezielle Vorkenntnisse zu den Themen, aber von Neugier geleitet. Doris Schöttler-Boll weiß sie zu motivieren: „Schwellenängste abbauen. Prozesse diffizil und sensibel anregen. Die Menschen ermutigen, etwas selber in die Hand zu nehmen“, nennt sie etwa als Anliegen der vom Kulturbüro der Stadt Essen und der Sparkasse Essen geförderten Reihe, die schon 20 Vorträge umfasst und der sie den Untertitel „Das eine tun, das andere nicht lassen“ gegeben hat.

Die quirlige Künstlerin, die bei Beuys studierte, ist sehr an Gedankenaustausch, vor allem aber auch einer Verankerung ihrer Arbeit im Stadtteil und einer Verknüpfung mit den Geschichten der Menschen vor Ort interessiert.

Soziale Praxis und künstlerische Arbeit gehen ineinander. Die Zusammenarbeit mit anderen war schon immer ein wesentliches Element in ihrem Schaffen. Von Anfang an ist dabei die interdisziplinäre Ausrichtung zu bemerken, der Blick über den Tellerrand der Kunst. Das schließt indes nicht aus, dass gerade die Kunst wegen ihrer spezifischen Möglichkeiten hoch geschätzt wird. Darunter versteht Doris Schöttler-Boll, der es um eine „Versöhnung des Intelligiblen und Sensiblen“ geht, unter anderem die Möglichkeit, affektiv und radikal auf Dinge zu reagieren.

In ihren Werken dekonstruiert sie Bildwelten, ein Montage- und Collageverfahren, das aus dem unermesslichen Vorrat der uns umgebenden medialen Hervorbringungen schöpft. „Diese Produktion ist immer ein Abenteuer und eine Entdeckungsfahrt in den Kontinent des Vorhandenen/Unbewussten“, schreibt die Künstlerin. Sie zerlegt Bilder, um die Teile neu zusammenzusetzen, Nicht Eindeutigkeit ist das Ziel. Vielmehr werden die symbolischen Bezüge, die im vorgefundenen Bildmaterial vorliegen und gesellschaftliche Realitäten – etwas geschlechtsspezifische Rollenzuweisungen konstruieren, sowohl bloßgelegt als auch gestört. So entsteht Raum für Assoziationen – ein Feld gegenseitiger Bezugnahmen, wie es sich auch in den Diskussionen eröffnet.

Matthias Schamp
- KVR Kultur- und Reisemagazin „1000 Feuer“ Frühling/Sommer 2002 -

 

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