Doris Schöttler-Boll: Künstlerin der Dekonstruktion
  
"Die Welten, aus denen diese Bilder gemacht sind,
sind Bilder." "Doris Schöttler-Boll radikalisiert 
das  Prinzip der Collage." (Marianne Schuller)
 

Doris Schöttler-Boll studierte bei Beuys; seit 1974 ist sie als freischaffende Künstlerin mehrperspektivisch tätig. Sie arbeitete nie nur individuell, sondern hat auch immer Gruppenprozesse  angeregt.  Beuys schreibt über ihre Arbeitsweise, daß sie jenseits von rigidem Ästhetizismus und einseitigem Politismus nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.
Mitte der 70er Jahre wurde der Aufenthalt in Paris, die Begegnung mit Derrida  für sie bedeutsam. Derrida, dem sie - bevor sie nach Paris fuhr -  schrieb, daß sie ihm den Begriff der "Dekonstruktion" entwenden müßte, weil das Sprechen von Collage/Montage zu reduziert sei, um das Spezifische ihrer Arbeitweise zu erhellen.
Sie wendet den Begriff der Dekonstruktion an, nicht als philosophische Kategorie, sondern als praktisch-künstlerisches Handeln. Ihr Signet, das die Verfahren der Destruktion und Konstruktion visuell hervorhebt, deutet die Spannung des kreativen Prozesses an, die der Entstehungsweise ihrer Arbeiten inhärent ist.

Über die Differenz ihrer individuellen künstlerischen Arbeit  und ihres Engagement für eine Art "LEBENsKUNST"  in der Zusammenarbeit "mit ganz heterogenen Gruppen von Menschen", unter Einbeziehung künstlerischer Medien, sagt Doris Schöttler-Boll, bei ersterer gehe es um etwas, das angesiedelt sei "jenseits von Kalkül und Zufall", während für die Arbeit, die sich in Gruppenkontexten artikuliert, fast immer eine Idee der Ausgangspunkt sei.
In ihrer eigenen Arbeit könne diese Idee zwar auch unbewußt vorhanden sein, aber,  so sagt sie,  "da bin ich mit Godard einer Meinung: ich kann erst über diese Idee reden, wenn ich sie [im  realisierten Werk] sehe..."

Derrida schrieb zu ihren Arbeiten, sie seien faszinierend, "da sie wunderschön sind und viel zu denken geben."
Um dieses "zu denken geben",  um eine Stringenz, aber auch um die Schönheit ging es der Künstlerin immer wieder.
Die Spur des Denkens in den Bildern - das ist bei ihr kein notwendigerweise rationales, logisches Denken. Sie gibt auch zu bedenken, daß man als Künstlerin oder Künstler nicht einfach mit  Bildern zu denken gibt:  das Denken ist vielmehr  in den Bildern präsent.

Auf dem Grund des Bildes ist wieder ein Bild, wie Godard sagt.
Und  wenn man  gegen das, so fügt sie hinzu, was heute als Bilderflut bezeichnet wird, rebelliert - oder einfach: widerständig ist, "also nach den Dispositiven und Ursachen fragt - [...], so  geschieht das auch  im Zuge einer Suche nach den Effekten, von denen die Ursachen oft im Dunkel bleiben." (Aber das ist nicht bewußt präsent, nicht  im  Arbeitsprozeß selber).

"Zuerst ist das Leben."

"Ich öffne morgens meine Augen
und ich sehe keinen Text / ich sehe ein Bild"

Dabei verzichtet sie auf jede emphatische Inthronisierung, jeden expliziten Bezug auf ein Subjekt.
Sie schreibt, im Blick auf ihre Collage/Montage-Arbeit:
"Ich verzichte auf 'subjektive Spuren' im Sinne von malerischen oder zeichnerischen Eingriffen [...]
Die Stiftung einer neuen Totalität - und sei es durch die Identität der Künstlerin - könnte die Subversion und das Begehren entschärfen, verharmlosen. Die 'subjektive Spur' (der Subjekteffekt) verläuft nur in der Dekonstruktion, in der Arbeit der Differenz, im Prozeß der Ent-Identifizierung. Was auch bedeutet, daß das, was zu sehen ist, mehr ist als meins. Oder: Wo ich war,  soll Es werden"

Wenn sie auch den Begriff  der Dekonstruktion von Derrida entwendet hat, so war ihr auch das Denken von Lacan ein verwandtes: die Psychoanalyse hat immer für sie eine Bedeutung gehabt. Und ohne diese zu bebildern, stellt sie in in Rechnung, was Lacan sagte: "Verraten können wir nur unser Begehren...."
In der Reflexion über ihre Arbeit wird ihr das deutlich: "Ich verzichte auf subjektive Spuren...." Und es gilt immer noch, in jenem mehrdeutigen Sinne: "...wo ich war, soll es werden." Soll nicht nur das ES, soll auch das ICH werden, als eines, daß seinen konstitutiven Bedingungen, seiner Geschichte, daß auch den Anteilen des Vorbewußten nachspürt. 

Damit eröffnet sich, offenbar, auch eine Brücke zum gesellschaftlichen Kontext, der Situiertheit des künstlerischen Prozesses.
Was sie bei Farocki fasziniert, ist, daß er versucht, nicht von den Subjekten auszugehen, sondern von den gesellschaftlichen Strukturen, die der Grund, der Ausgangs- und Bezugspunkt sind für die sichtbaren Verhaltensweisen. Und es geht ihr (ganz wie Farockt)  darum, für diese Relation Bilder zu (er-)finden... Bilder, die auch verdeutlichen, durch welche gesellschaftlichen Mechanismen die Verhaltensweisen hervorgerufen sind.
Wenn ihr das gelingt, so nie im Sinne einer bruchlosen, gleichsam 'naturalistischen' Spiegelung. 
Sondern vielmehr, indem sie Untergründiges, Spannungen anklingen läßt.
D.E. Sattler spricht daher auch von dem Dazwischen, der "ZWISCHENZEIT", die in ihren Arbeiten anklingt: "Der dargestellte Moment war nie noch wird er sein. Das gilt auch für den Raum: er ist und ist nicht. Wir befinden uns demnach was dringend der Erklärung bedarf in einer besonderen Zeit und einem besonderen Raum weder innerhalb noch gänzlich außerhalb von Raum und Zeit.  Es ist die camera obscura vermittels derer sich der Traum am Tage einnistet. Der seltsame Ort an dem das geschieht ist der Zwischenraum."

Fragt man die Künstlerinnen nach ihren 'Themen', so entgegnet sie, das Thema ihrer Arbeiten ergebe sich, wenn überhaupt, erst im Nachhinein. Sie zitiert aber auch Pierre Macherey, der sie - mit ihren Arbeiten konfrontiert - daran erinnert habe, es sei nicht einfach nur der Schaffensprozeß, sondern "das Bild selbst, das Ereignischarakter" habe.

Für Klaus Honnef "spürt [die Künstler Doris Schöttler-Boll so] die verborgenen Widersprüche in den verführerischen Bilderwelten unserer Wirklichkeit auf - und macht sie offenbar.
Die unterschiedlichen bildnerischen Versatzstücke, die [sie] in ihren Collagen/Montagen einsetzt, tragen Spuren der Bedeutungen, die sie in den Zusammenhängen gehabt haben, denen sie entstammen, in die neuen Zusammenhänge. Ja, die neuen Zusammenhänge entstehen dadurch, daß sich ursprüngliche Bedeutungen wechselseitig durchkreuzen. Aus der schillernden 'Oberflächlichkeit' der Fotografie und ihrer scheinbaren Eindeutigkeit entfaltet sich eine kristalline Bedeutungsstruktur, ein 'Bedeutungsraum'.  Innen und außen, Bewußtes und Unbewußtes, gehen ineinander über, und aus den Schatten kristallisiert sich umrißhaft von neuem eine vieldimensionale Erfahrungswirklichkeit."

Einmal sagte sie: in ihrer Kunst gehe es auch darum, etwas von dem freizusetzen.
"was ich an Kräften der Revolte noch in mir habe." 
Es erinnert sie diese Haltung an das, was einmal ihr Freund Michel Pécheux schrieb: "Man verfügt also über [...] die Möglichkeit von Widerstands- und Revolteformen in diesen Lücken und brüchigen Stellen der Unvollkommenheit [...]" Die Lücken und brüchigen Stellen, die sich auch in den Collagen/Montage, ihrer Arbeit der "Dekonstruktion" immer wieder zeigen. 

                                                                                 - J. Weidenfels
 
 
 
 
 
 

Zahlreiche Ausstellungen (u.a. Einzelausstellungen im Landesmuseum Bonn, Museum Neuss, Museum Bochum).
Konzipiert und organisiert seit dem 9.9.1999 die Projekte der Veranstaltungsreihe "Personen - Projekte - Perspektiven'  im Atelierhaus "Alte Schule" / Atelierhaus für Kunst - Medien - Kommunikation in Essen-Steele.

An ihren Projekten in Bremen, Essen-Borbeck und Essen-Steele wirkten bislang unter anderem mit:
Hansjörg Bay, Friederike Beck, Wolfgang Beilenhoff, Tayfun Belgin, Natalie Binczek, Rita Bischof, Ullrich Bischoff, Wolfgang Blobel, Günther Bose, Robert Bosshard, Rielo Chmielorz, Harald Falkenhagen, Harun Farocki, Rike Felka, Ulrike Filgers, Jürgen Frese, Peter Friese, Toto Frima, Claudia Gehrke, Ingeborg Gerstner, Monika Günther, Thomas Hecken, Marikke Heinz-Hoek, Petra Hengholt, Ute Holl, Nan Hoover, Heiko Idensen, Urs Jaeggi, Birgit Käufer, Peter Kerschgens, Andreas Kopp, Ina Kurz, Marie-Lu Leisch, Jürgen Link, Isolde Loock, Bärbel Messing, Tony Morgan,  Inge Morgenroth, Elgar Morgenstern-Hübner,  Hartmut Neumann, Gerhard Plumpe, Claudia Richarz, Eu-Nim Ro, Ingrid Roschek, Werner Ruzicka, D.E. Sattler, Matthias Schamp, Christina Schlegel, Norbert Schwontkowski, Thomas Simpfendoerfer, Katharina Sykora, Timm Ulrichs, Rainer Vowe, Andreas Weiland, Tim Weltermann, Niels Werber, Erwin Wiemer, Christoph Wilmer, Anna Zika, u.v.a.m.
 
 

 

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